Als der erste Corona-Lockdown beschlossen wurde, war Online Yoga für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Yoga bedeutete für mich bis dahin eine persönliche Erfahrung gemeinsam mit anderen in einem physischen Raum. Als freiberuflicher Vollzeit-Yogalehrer war ich auf meinen Verdienst durch das Unterrichten von Yoga-Kursen angewiesen – vor Ort in einem dafür angemieteten Raum in Mainz. Plötzlich war das nicht mehr möglich. Und so stand von heute auf morgen meine Existenz auf dem Spiel. Mein Hirn lief auf Hochtouren, um Alternativen zu finden. Eine zarte Stimme in meinem Kopf – und die etwas lautere meiner Partnerin – sagten: Online Yoga! Eine andere Stimme in meinem Kopf antwortete: Wie soll denn das gehen? Dabei war die Möglichkeit, Kurse auch online anzubieten, immer mal wieder im Gespräch gewesen – ich konnte mir das jedoch aus verschiedenen Gründen nie so richtig vorstellen.
Keine Yoga-Stunde ohne Hands-on-Hilfestellungen
Wer mich kennt, weiß: Ich liebe es, während der Yogastunde zu – wie es im Yoga heißt – „adjusten“, also Hands-on-Hilfestellungen zu geben. Das unterstützt dich zum einen dabei, die Asanas individuell an deinen Körper anzupassen. Zum anderen kannst du dadurch tiefer in die Asanas kommen. Außerdem entsteht beim gemeinsamen Praktizieren vor Ort Energie, die allgemein als unterstützend wahrgenommen wird und insgesamt zur positiven Erfahrung von Yoga beiträgt. Das gilt auch für Musik, die für mich immer zu meinen Yogastunden gehörte. Viele meiner Anleitungen basierten darauf, dass ich die Asanas selbst mit ausführte. Wie sollte das alles online aussehen? Vor allem so, dass es meine Teilnehmer*innen weiterhin zufriedenstellt? Und wie konnte ich Online Yoga technisch umsetzen? Kurz:
Wie funktioniert Online Yoga?
Fragen über Fragen – doch das Hin- und Herüberlegen zeigte: Es war so ziemlich die einzige Alternative und immerhin einen Versuch wert. Ich gestehe: Meine Überzeugung hielt sich in Grenzen, ganz zu schweigen von Begeisterung! Heute bin ich nicht nur froh, sondern auch ein bisschen stolz: Zwei Tage nach dem Lockdown habe ich meine erste Online-Yoga-Stunde gesendet. Seitdem sind mittlerweile anderthalb Jahre vergangen, in denen sich meine anfängliche Skepsis und die vieler meiner Teilnehmer*innen nicht nur gelegt, sondern vor allem gewandelt hat. Dafür musste ich die Technik meistern und die Art des Unterrichtens anpassen. Mir war klar, dass ich auf eines auf keinen Fall verzichten wollte: Die Teilnehmer*innen meiner Yogakurse sollten sich weiterhin darauf verlassen können, dass sie die Asanas so ausführen, dass sie ihrem Körper guttun. Das war mir in meinen Präsenzkursen extrem wichtig und ist ein Grund, warum ich mich auf kleine Gruppen beschränke. Um das auch online zu gewährleisten, musste ich sicherstellen, dass ich
- alle Teilnehmer*innen im Blick behalte und
- so anleite, dass sie vor allem akustisch gut meinen Anleitungen folgen können.
Der erste Punkt war mit der Wahl der Plattform Zoom schnell gelöst. Wer teilnehmen möchte, erhält einen Link über den er sich in ein Online Meeting einwählen kann. Dort sind neben mir auch die anderen Teilnehmer*innen zu sehen. Statt mitzumachen sitze ich beim Online Yoga die meiste Zeit und schaue in den Laptop – das gibt mir die Möglichkeit individuell auf jeden einzelnen einzugehen und verbal Rückmeldungen und Hilfestellungen zu geben. Punkt 2 war ein Prozess, in dessen Verlauf meine Anleitungen noch sehr viel detaillierter und präziser geworden sind.
Vorteile von Online Yoga
Nach all der Zeit kann ich sagen: Präsenzunterricht vor Ort ist vor allem als Kursleiter immer noch meine erste Wahl. Und von vielen meiner Teilnehmer*innen weiß ich, dass das auch für sie gilt. Gleichzeitig hat Online Yoga durchaus Vorteile:
- Weniger Zeitaufwand: Ganz offensichtlich entfällt beim Online Yoga die Zeit für An- und Abreise. Du kannst einfach von dem Ort deiner Wahl an Online-Yoga-Stunden teilnehmen. Das kann für alle, die beispielsweise beruflich oder familiär stark eingebunden sind, ein großer Vorteil sein. Außerdem hat nicht jeder das Glück, das passende Yoga-Studio direkt um die Ecke vorzufinden. Das betrifft zum einen Menschen im ländlichen Raum, die dadurch Zugang zu Yoga-Angeboten haben. Und damit meine ich nicht die kostenfreien Videos auf verschiedenen Plattformen. Gerade Anfänger profitieren sehr von einem Kursleiter, der darauf achtet, dass die Asanas so ausgeführt werden, dass sie dem Körper guttun. Ich habe früher in Frankfurt unterrichtet, jetzt ausschließlich in Mainz. Selten fährt jemand von Frankfurt nach Mainz „nur“ zum Yoga. Es hat mich sehr gefreut, dass einige Teilnehmer*innen aus meinen früheren Kursen, die weggezogen sind, die Chance genutzt haben und online an meinen Kursen teilnehmen. Mit Online Yoga hast du also die Möglichkeit, auch an Stunden von Lehrer*innen teilzunehmen, die so weit weg sind, dass du sonst gar keine Kurse bei ihnen besuchen kannst.
- Du praktizierst in deinem gewohnten Umfeld: Für diejenigen, die sich zu Hause gut – oder sogar am besten entspannen können, kann Online Yoga ein guter Weg sein, regelmäßig ohne viel Aufwand Yoga zu praktizieren.
- Du hast trotzdem einen festen Termin: Wie beim Präsenzunterricht gibt es feste Zeiten für die Kurse. Je nachdem, wie wichtig dir die regelmäßige Praxis ist und welcher Persönlichkeitstyp du bist, kann das ein guter Rahmen für eine regelmäßige Yoga-Routine sein.
- Du bist mehr auf dich gestellt: Ein wesentlicher Aspekt im Yoga ist es, bei sich selbst zu bleiben. Vorausgesetzt du hast die Möglichkeit, zu Hause einen ruhigen Platz zu finden, kannst du die Praxis in deinen eigenen Räumen, ohne andere Praktizierende neben dir, ohne den Lehrer vorne, nutzen, um dich mehr auf dich und deine Praxis zu konzentrieren. Das stärkt den meditativen Anteil von Yoga.
- Du praktizierst gemeinsam mit anderen im virtuellen Yogaraum: Glücklicherweise ermöglicht uns die Technik auch online ein Gefühl von Gemeinsamkeit. Mir ist es dabei wichtig, die Möglichkeit zur Interaktion mit den Teilnehmer*innen aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grund verzichte ich bewusst, alle komplett zu muten. Wer das will, kann das natürlich machen – ich mache das nur im Einzelfall, wenn es mal zu laut wird.
Vor allem der letzte Punkt hat eine Konsequenz, die ich am Online Yoga wirklich vermisse: der musikalische Hintergrund. Ich habe schon einiges ausprobiert, finde es bislang jedoch wenig praktikabel.
Online Yoga sollte bleiben
Mein Fazit ist: Online Yoga hat durchaus Vorteile, sodass es den Präsenzunterricht zumindest ergänzen kann – für manche ist es je nach Lebensphase sogar eine gute Alternative. In jedem Fall trägt es dazu bei, mehr Menschen den Zugang zu einer regelmäßigen Yogapraxis und seinen positiven Effekten zu ermöglichen. Auch wenn Präsenzunterricht wieder möglich ist: In meinem Kursplan wird es auf absehbare Zeit einen Online-Yoga-Kurs geben.